Spurensuche

Online Symposium 2021

18. September 2021

„Bin ich gut zu verstehen? Können alle meinen Bildschirm sehen?“
Immer wieder waren diese Sätze zu hören, als kürzlich, am 18. September 2021 eine Fachveranstaltung des DAGTP e.V. stattfand.

Eigentlich sollte es das DAGTP-Symposium sein – eine Präsensveranstaltung an der Katholischen Hochschule Berlin. Nun musste es corona-bedingt modifiziert werden:
Ein kleines, aber feines Online-Veranstaltungsformat lockte mit 3 Fachvorträgen und Diskussionsrunden und immerhin mehr als 80 Teilnehmer:innen loggten sich ein - unter ihnen neben Mitgliedern des Vereins auch Lehrtherapeut:innen und Studierende des Bachelorstudiengangs „Gestaltungstherapie / Klinische Kunsttherapie" der Katholischen Hochschule Berlin.
Das zwar auf das Symposium im nächsten Jahr verschobene Thema „Erste Bilder – letzte Spuren. Kunst- und Gestaltungstherapie im Generationenbezug" bot nun immerhin genügend Anhaltspunkte für eine erste Annäherung – eine Art „Spurensuche".

Diese eröffnete als erster Vortragender Herr Prof. Dr. phil. Günter Reich (u.a. Diplompsychologe, Psychoanalytiker, Paar- und Familientherapeut; zahlreiche Publikationen u.a. zur Mehrgenerationen- Familien- und Paartherapie).
Ausgehend von verschiedenen Überlegungen und Theorien zum Verständnis des Familienbegriffs fokussierte er auf das Familiengefühl und führte in Anlehnung daran den Einfluss transgenerativer Unterströmungen aus. Als solche machte Herr Prof. Dr. Reich u.a. das kollektive Familiengedächtnis (M. Halbwachs und A. Assmann), Tiefenerzählungen (A.R. Hochschild „Tiefengeschichten"), unsichtbare Loyalitäten (I. Boszormenyi-Nagy) und das sogenannte epistemische Vertrauen (P. Fonagy) aus. Neben diesen wirken auch neuere Entwicklungen (u.a. die Verkleinerung der Familienbeziehungen, durch Samenspende gezeugte Kinder, Leihmütter) auf das Familiengefühl. Entscheidend vor diesem Hintergrund bleibt, inwieweit es Menschen immer wieder gelingt, die eigene Familiengeschichte zu verstehen und zu akzeptieren.

Am Bild der „Schreimutter" (in Anlehnung an das gleichnamige Bilderbuch von Jutta Bauer) als Metapher für frühe Entwicklung und Störungen erörterte Dr. rer. soc. Begga Hölz-Lindau (Diplomkunsttherapeutin, u.a. seit 2006 Kunsttherapeutin an der Kinder- und Jugendpsychiatrie Tübingen/Stuttgart, diverse Publikationen) als zweite Vortragende, wie sich frühe traumatisierende Familienerfahrungen auf die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen auswirken. Traumatische Erlebnisse führen zu innerseelischen Fragmentierungen, die je nach Intensität und Wiederholungshäufigkeit betroffene Personen dauerhaft und bleibend in ihrer Entwicklung beeinflussen. Das zeigt sich in der kunsttherapeutischen Arbeit in spezifisch diagnostizierbaren Phänomenen im Körperausdruck, in der bildhaften Gestaltung und in den Narrativen. Mit einer von Frau Dr. Hölz-Lindau vorgestellten Analyse einer kunsttherapeutischen Kurzzeittherapie aus ihrem klinischen Setting verwies sie auf zentrale Interventionsakzente und die besondere Chance, Kindern und Jugendlichen über dieserart kunsttherapeutische Arbeit auf der entwicklungspsychologisch vorsprachlichen Ebene Halt zu geben.

In der Auseinandersetzung mit traditionellem und heutigem Bilderleben stellen sich neue Fragen zum grundsätzlichen Verhältnis von äußerer und innerer Wirklichkeit und ihrer bildlichen Verbindung. Diesen ging Frau Stefanie Nahler (Diplomkunsttherapeutin, Analytische Kinder-und Jugendlichenpsychotherapeutin in eigener Praxis, Dozentin am C.G. Jung-Institut Stuttgart), als dritte Vortragende mit ihrer Präsentation von sowohl bildtheoretischen Überlegungen, als auch Fallbeispielen aus der eigenen Praxisarbeit nach.
Vor dem Hintergrund der Ausführungen zum Bild als archetypischen Mittler setzte sich Frau Nahler besonders mit den heutigen High-Tech-Bildern, ihrer Präsentation und den Phänomenen der Bilderflut und des Bildkonsums auseinander: Wie beeinflussen diese die Wahrnehmung und den Selbstausdruck von Kindern und Jugendlichen? Wie wirken sich beispielsweisedie Bilder im virtuellen Raum aus, wenn dadurch die symbolisierende Distanz im Inneren der Bilder abhandenkommt und wenn die haptische Erfahrung fehlt? Die Kunsttherapie, so ein Fazit, zu deren Kernauftrag eine reflektierte Arbeit mit Bildern gehört, muss sich einer theoriebasierten Einschätzung dieser neuen Bildphänomene stellen und ihnen auch einen Platz in den gestalterischen Prozessen von Kindern und Jugendlichen einräumen.

Auch wenn in den kurzen Nachklangphasen zwischen den Vorträgen nicht alle Teilnehmer:innen akustisch zu Wort kamen, die Chatfunktion des Online-Formats machte ganz eigene Rückmeldungen möglich: Bestätigungen des Gehörten, weiterführende Fragestellungen, interessante Querverweise.

Sichtlich erleichtert, ob des gelungenen Veranstaltungsformats, endete die „Spurensuche" dieses Tages mit dem Verweis auf eine klar anvisierte Spur in 2022:
das DAGTP-Symposium am 30. September und 1. Oktober 2022 an der Katholischen Hochschule Berlin.

Seien Sie hiermit bereits auf's Herzlichste dazu eingeladen!

(19. September 2021, Bettina Albrecht, Vorstand des DAGTP e.V.)

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